post-autistische Ökonomie
Das ist doch mal interessant: Spiegel-Online („Lernt unsere Sprache, bevor ihr mitredet“, 5.1.11) versucht ein Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaft verzweifelt, seine Wissenschaft gegen den Vorwurf zu verteidigen, dass sie „eine marktradikale, hyperrationalistische Religion wäre, die nur dazu da ist, Ausbeutung durch Finanzkapitalisten zu legitimieren“.
Da macht er sich aber mal Luft indem er sagt: Ob Journalisten die drüber schrieben oder junge Studenten, die sich aus Mangel an Lehrinhalten ihre eigenen Vorlesungen organisieren würden - die hätten ja alle keine Ahnung.
Leider geht er mit keinem Wort auf die Vorwürfe ein, die am Anfang des aus Frankreich stammenden Begriffs der „autistischen Ökonomie“ und dem Konzept einer „post-autistischen Ökonomie“ verbunden sind: Das ist sinngemäß die Frage, ob die Volkswirtschaftslehre nicht eventuell zuviel ausrechne und zuwenig über ihre Funktion als Sozialwissenschaft nachdenke – und deshalb Anzeichen von Autismus trage. Die nicht oder nur schwach ausgeprägte Unfähigkeit zur sozialen Interaktion.
Nein darum gehe es nicht, so schreibt er. Und ohnehin gelte: Wer VWL studiere, so wie manche Philosophie studieren, nämlich um die Welt irgendwie allgemein besser verstehen zu können, der werde enttäuscht werden.
Ja dann. Wissen wir ja Bescheid, dass von dort aus im Moment nichts zu erwarten ist. Vielleicht kam das Thema der post-autistischen Ökonomie in den letzten Jahren zwar immer mal wieder hoch, schaffte es aber nie wirklich dauerhaft an die mediale Oberfläche…
Da macht er sich aber mal Luft indem er sagt: Ob Journalisten die drüber schrieben oder junge Studenten, die sich aus Mangel an Lehrinhalten ihre eigenen Vorlesungen organisieren würden - die hätten ja alle keine Ahnung.
Leider geht er mit keinem Wort auf die Vorwürfe ein, die am Anfang des aus Frankreich stammenden Begriffs der „autistischen Ökonomie“ und dem Konzept einer „post-autistischen Ökonomie“ verbunden sind: Das ist sinngemäß die Frage, ob die Volkswirtschaftslehre nicht eventuell zuviel ausrechne und zuwenig über ihre Funktion als Sozialwissenschaft nachdenke – und deshalb Anzeichen von Autismus trage. Die nicht oder nur schwach ausgeprägte Unfähigkeit zur sozialen Interaktion.
Nein darum gehe es nicht, so schreibt er. Und ohnehin gelte: Wer VWL studiere, so wie manche Philosophie studieren, nämlich um die Welt irgendwie allgemein besser verstehen zu können, der werde enttäuscht werden.
Ja dann. Wissen wir ja Bescheid, dass von dort aus im Moment nichts zu erwarten ist. Vielleicht kam das Thema der post-autistischen Ökonomie in den letzten Jahren zwar immer mal wieder hoch, schaffte es aber nie wirklich dauerhaft an die mediale Oberfläche…
Kommentare
Vielleicht ist ja die Sprache bzw die damit konstruierte Realität genau das Problem?
Zitiert wird in dem Artikel der ?Vater der Ökonometrie? Malinvaud, der auf einem Kongress mal die Frage gestellt habe, ob die mathematische Modellierung nicht zu häufig angewandt würde. Denn schließlich sei sie nicht dazu da, ?abstrakte Modelle für imaginäre Wirtschaftsmode lle zu produzieren.
(Im Original: « La modélisation mathématique n'est-elle pas trop pratiquée ? La fonction véritable de l'économie mathématique est d'apporter la rigueur là où l'on en a besoin. Elle n'est pas de produire des modèles abstraits
pour des économies imaginaires. »)
So gesehen passt das, was du sagst, genau. Allerdings, so heisst es in dem Artikel auch, habe Malinvaud die Aussage bald drauf wieder revidiert?
Aber vielleicht beginnt das Handelsblatt hier ja schon mal unbewusst die Grundlage des falschen Denksystems zu demontieren: Den sturen Glauben an die Rationalität und Bedeutung der ökonometris cher Verfahren als rationale Begründung für alles, was Geld bringt. Damit würde sich dann ja vielleicht langsam die Phase des aus Frankreich stammenden Konzepts einer ?post-autistischen Ökonomie? einläuten.
Der französische ?Vater der Ökonometrie? Malinvaud, hatte schon 1996 auf einem Kongress mal die kritische Frage gestellt, ob die mathematische Modellierung nicht einen Hauch zu häufig angewandt würde. Denn schließlich sei sie nicht dazu da, ?abstrakte Modelle für imaginäre Wirtschaftsmode lle zu produzieren?.
Auf deutsch: Man kann zwar alles ausrechnen. Aber der Hochleistungsco mputer, Formeln und Daten verarbeitet, kann halt auch nur rechnen. Und vor allem kann er eines nicht: verantwortlich denken?
Markant ist dabei die Begründung, die dafür gegeben wird: Je mehr Sorgen sich der Markt mache, desto besser. Daraus speise sich eine Hausse. Weil es immer auch einige Optimisten gebe, die genau dann in Aktien investieren würden. Dann würden halt viele aus Angst verkaufen wollen ? und es gebe eben auch Käufer. Das sei dann wiederum ein solides Fundament für steigende Kurse.
Dieses Muster hatte John Pierpont Morgan schon im 19. Jahrhundert deutlicher formuliert : Man müsse kaufen, wenn das Blut in den Straßen fließe.
Dass heute gar nicht mehr die Aktien, sondern ?Derivate? und Wetten den Markt bewegen und die längerfristi ge Planung schwer machen, steht nicht dabei ? die Bank for internationel Settlements spricht hier von einem ungedeckten Risiko zwischen zwei und acht Billionen US-Dollar ?
Leider geht er mit keinem Wort auf die Vorwürfe ein, die am Anfang des aus Frankreich stammenden Begriffs der ?autistischen Ökonomie? und dem Konzept einer ?post-autistischen Ökonomie? verbunden sind: Das ist sinngemäß die Frage, ob die Volkswirtschaft slehre nicht eventuell zuviel ausrechne und zuwenig über ihre Funktion als Sozialwissensch aft nachdenke ? und deshalb Anzeichen von Autismus trage. Die nicht oder nur schwach ausgeprägte Unfähigkeit zur sozialen Interaktion.
Vielleicht kam das Thema der post-autistischen Ökonomie in den letzten Jahren zwar immer mal wieder hoch, schaffte es aber nie wirklich dauerhaft an die mediale Oberfläche?
Wenn man ernstgenommen werden will, ist es immer hilfreich Begrifflichkeit en zu wählen, die man auch ernstnehmen kann. Das sind ganz sicher nicht Begriffe, die ganze Bevölkerungsgr uppen mit dümmlichen Klischees bedenken. Autisten rechnen alles in einer Weise aus, wie man es in der VWL tut? Ich kenne keinen Autisten, der soetwas tut.
Aber der letzte Satz im ersten Zitat hat was und kommt wohl unabsichtlich der Realität recht nahe.
Inwieweit man die Dümmlichkeit von deutschen Klischees mit der französischen Notation von Post-Autisme gleichsetzen kann oder soll, wird man je nach Ausrichtung selbst entscheiden müssen. Es gibt halt schon einen Unterschied im Denken von Freud, Mitscherlich, Lacan oder Melanie Klein.
Der Begriff des Post-Autismus machte wie angemerkt erstmals am 21.6.2000 in einem Artikel in Le Monde seinen Weg in die Medien (?Des étudiants en économie dénoncent le manque de « pluralisme » de l'enseignement dispensé?). Das Verständnis von Autismus, das diesem Begriff in Frankreich wohl zugrunde lag, mag aus der französischen Denkweise eine negativ-dialektische polemische Abwehr der Mathematik als wissenschaftlic hem Meister-Signifikanten gewesen sein. Dazu muss man wissen, dass die Mathematik zu dieser Zeit eine dominante Stellung in der französischen Wissenschaft hatte.
In Deutschland verwandten ja übrigens auch Mitscherlich et alt. für die Erinnerungsverw eigerung der Deutschen nach dem Nationalsoziali smus den Begriff der ?autistischen Haltung?. Der Wegfall der Vaterfigur des "Führers" habe bei den Deutschen eine auffallende Gefühlsstarre der Deutschen ausgelöst, "die sich in unserem gesamten politischen und sozialen Organismus bemerkbar macht?.
Wer weiß es schon, ob der Wegfall des Ostblocks und des Kommunismus als Gegenspieler des Kapitalismus nicht zu einer ähnlichen Entwicklung geführt hat. Am Ende stand dann eine Haltung, die sich nur noch auf sich selbst beziehen konnte und keine Fähigkeit zur Interaktion mit dem Anderen mehr zu brauchen glaubte.
Da könnte man ohne Zweifel ernsthaft drüber nachdenken. Und das, was der Begriff des Post-Autismus angriff, sollte man schon auch ernst nehmen. Diese Problematik komplett auszusparen, weil wieder irgendwer etwas falsches dazu assoziieren könnte oder das Ganze sowieso völlig falsch verstanden hat, bringt ja auch nix. Soviel Pluralismus soll schon sein. Aber darüber könnte man ehrlich gesagt bei einer Flasche Wein oder im Seminar viel besser sinnieren als hier.
Eines sehen wir aber genau so: Die Assoziation, dass sich der post-autistische Ansatz oder das Problem der Volkswirtschaft nur aufs Ausrechnen oder das blitzschnelle Zusammenzählen von Zahnstochern wie beim Rainman reduzieren ließe, würde sicherlich zu kurz greifen und wäre in diesem Sinne auch wirklich dümmlich. Obwohl das ein hartes Wort ist, das wir so kaum gebrauchen würden?
Aber davon stand ja ehrlich gesagt auch weder in dem Le Monde Artikel noch in unseren Zitaten etwas? So gesehen sind wir ja einer Meinung. Richtig?