„Gehirne, die im Kurzfristmodus getaktet sind…“
Heiner Ganßmann ist Professor Emeritus für Soziologie der Freien Universität Berlin. Als Wirtschaftssoziologe befasst er sich seit Jahren intensiv mit den diversen Finanzkrisen. Er ist ein gefragter „Aufklärer“ und schreibt unter anderen für Le Monde Diplomatique. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Sozialstruktur und theoretische Grundlagen der Soziologie, soziologische Geldtheorie und die Theorie des Wohlfahrtsstaats. Seine Artikel zum Thema „die Märkte“ machten uns neugierig. Wir wollten mehr wissen und stellten ihm unsere traditionell etwas komplexeren „Neun Fragen“ …
1. Frage:
Herr Professor Ganßmann, in ihrem 2008 in Le Monde diplomatique erschienen Artikel „Mehr ist Mehr“ schlugen Sie eine erfrischend einfache Formel zur Unterscheidung zwischen soliden und aufgeblasenen Geldgeschäften und „Geldvermehrungsverspechen“ vor. Diese Formel basierte auf der einfachen Orientierung am durchschnittlichen langfristigen Wachstum des Volkseinkommens im Kapitalismus. Und das liege eben bei 2%. Alles, was da signifikant drüber liege, so schrieben Sie damals sinngemäß - also auch die damals heiß diskutierte 25-prozentige Eigenkapitalrendite eines Josef Ackermann - tendiere dann eben zu einem aufgeblasenen Geschäft. Einem Geschäft eben, bei dem die eine Partei nur dadurch soviel gewinnen könne, dass die Gegenpartei verliere. Da drängt sich die ebenfalls erfrischend einfache Frage auf: Kann man den Grad an Verantwortung, den ein Marktteilnehmer für seine Geschäftspartner und die Gesellschaft übernimmt, am Ende wirklich in Prozent messen?
Nein. Ich würde lieber von einer Faustregel als von einer Formel sprechen. Es geht um eine grobe Orientierung, die makroökonomisch begründet, also auf Einzelgeschäfte nicht direkt anwendbar ist. Eine Wachstumsrate des Volkseinkommens von x% setzt einen allgemeinen Rahmen. Wenn einzelne Einkommensgrößen dann ebenfalls mit x% wachsen, sind sie verteilungsneutral. Um 2% liegt der langfristige historische Durchschnitt. Kurzfristig schwanken die Wachstumsraten und die Einkommen bewegen sich nicht im Gleichtakt. Aber wenn jemand unter Rahmenbedingungen, die nicht weit von diesem Durchschnitt abweichen, exorbitante Versprechen macht, sollte man als potentiell Betroffener misstrauisch werden. Unter welchen Voraussetzungen hätte z.B. Herr Ackermann die Deutsche Bank dazu bringen können, 25% Eigenkapitalrendite zu erwirtschaften? Solche Renditen waren im Finanzsektor vor der Krise nur dank (im historischen Vergleich) extrem hoher Leverage-Raten möglich. Das Eigenkapital diente im Verhältnis 1:20 oder 1:30, 1:40 als Hebel zur Aufnahme von Krediten, die noch dazu häufig extrem kurzfristig refinanziert wurden. Das war und ist kein solides Geschäftsmodell, aber Besserung ist nicht in Sicht. Dabei geht es weniger darum, dass jeweils der direkte Geschäftspartner übers Ohr gehauen wird, sondern darum, dass überhöhte Risiken nur deshalb eingegangen werden, weil man glaubt sie ungestraft weiterschieben zu können. Die Kreditpipeline im Geschäft mit Subprime-Hypotheken reichte z.B. vom Kauf eines heruntergekommenen Hauses in Cleveland bis zu den Kunden der Westdeutschen Landesbank. Weil die versprochenen Renditen von CDOs (collateralized debt obligations) so hoch und die Ratings so gut waren, gab es erst einen gewaltigen Nachfragesog, aber als die Zahlungsausfälle in Cleveland geringfügig zunahmen, sauste die Pleitewelle durch die Pipeline. Dabei übernimmt niemand für niemand Verantwortung, sondern jeder versucht, sie weiter zu schieben.
2. Frage
... Und in diesem Zusammenhang gleich noch eine Frage hinterher: Früher sagte man ja, dass die durchschnittliche Rendite von Sachwerten wie Immobilien über 20 Jahre betrachtet bei etwa 3,5% und die von Aktienanlagen halt wegen des immanenten Verlustrisikos bei etwa 8% liege. Trotzdem war und ist der Anteil von Aktien in den "Portfolien" deutscher Anleger nach wie vor zu vernachlässigen. Jetzt lassen wir die 2% mal als Richtwert für Solidität mal beiseite – wie sieht das der Soziologe in Ihnen: Sind die Deutschen einfach nur risikoavers oder haben sie am Ende doch noch ein Gespür für den rheinischen Kapitalismus und für das, was soziale Marktwirtschaft ausmacht?
Es dreht sich sicher um eine Mischung. Erstens muss man wohl davon ausgehen, dass sehr viele Deutsche nicht sonderlich sachkundig sind, wenn es um die Finanzwelt geht. Zweitens haben sie mit (Volks-)Aktien keine besonders guten Erfahrungen gemacht, also lassen sie lieber die Finger davon. Das ist nicht unvernünftig, wenn man überlegt, wie viele Leute kürzlich mit undurchschauten "Finanzprodukten" hereingefallen sind. Das viel ausgeprägtere allgemeine Interesse an Aktien in den USA war und ist die Kehrseite einer weniger umfassenden sozialstaatlichen Absicherung. Mit der Teilprivatisierung der Altersicherung durch die Riester-Reformen hat die rot-grüne Regierung zwar versucht, mehr Interesse an Anlage in Aktien (etc.) zu erzwingen, aber das Timing dafür war erst wegen der Dotcom- und dann der Subprime-Krisen schlecht. Schliesslich gilt immer noch für die deutschen Unternehmen, dass deren Finanzierung in der Tradition des rheinischen Kapitalismus mehr über die Banken als über die Börse lief.
3. Frage:
In den letzten Monaten ist insbesondere bei der Deutschen Bank eine bizarre Situation zu beobachten. Einerseits beruft sich die Bank bei der Legitimation ihres Handelns gerne auf die „nicht verhandelbaren“ Interessen der Shareholder, die sie vorrangig vertrete. Nun erntet sie von genau diesen Shareholdern vermehrt Kritik - zuletzt wegen der im Verhältnis zu den Mitarbeiterboni geringen Dividendenausschüttungen (von der Entwicklung des Börsenkurses ganz zu schweigen). Beginnt das System, sich selbst zu zersetzen oder sollte man all die Pressemeldungen der letzten Wochen eher als eine gut eingefädelte und inszenierte Kampagne zur Unterfütterung des angekündigten Kulturwandels betrachten?
Den "Kulturwandel" kann man dem DB-Management erst abnehmen, sobald sich die Geschäftspraktiken, die die Finanzkrise herbeigeführt haben, wirklich geändert haben. Wenn das Investment-Banking in den letzten Jahren wenig abgeworfen hat und in dem Bereich Leute entlassen werden, ist das noch kein Kulturwandel. Als Unternehmen waren die Banken im Boom vor der Krise in der Tat durch einen Teil ihres Personals, das mit Abwanderung drohen konnte, erpressbar. Das erklärte damals zumindest z.T. den Anstieg der Boni. Dieser Grund dürfte weitgehend entfallen sein.
Dass die Interessen der Shareholder als "nicht verhandelbar" gelten sollen, soll vielleicht schon im Vorfeld befürchtete regulative Eingriffe abwehren, die z.B. die Forderung nach höheren Eigenkapitalquoten mit dem Aussetzen von Dividendenzahlungen, bis mehr Eigenkapital aufgebaut ist, verkoppeln könnten. Einigermassen rationale Shareholder sollten eigentlich ein Interesse an stabilen und vernünftig wirtschaftenden Unternehmen haben, auch wenn durch erforderliche Umbauten die Dividende zeitweise mager ausfällt. Aber das scheint nicht in Gehirne zu passen, die im Kurzfristmodus getaktet sind.
Frage 3:
Bleiben wir noch einen Moment bei diesem Thema: In der vergangenen Woche trieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Rede über die Forderungen der Shareholder auf die Spitze indem sie die sich auf etwa 13 Milliarden Euro pro Jahr summierenden Gehälter der über 90.000 Angestellten der Deutschen Bank direkt und nahtlos mit "nur" 770 Millionen Euro Dividenden für die etwa 660.000 Shareholder verglich. Was sagt der Soziologie: Gibt es zwischen dem arbeitenden Menschen und dem arbeitenden Geld keinen substantiellen Unterschied mehr? Oder ist uns der Begriff der Arbeit im Zuge des Casino- Kapitalismus verloren gegangen?
Diese Gegenüberstellung von Angestelltengehältern und Aktionärseinnahmen ist unsinnig. Unbeschadet dessen kann man natürlich darüber streiten, wieviel von den erzielten Unternehmensüberschüssen beim Management oder den Tradern hängenbleibt und wieviel an die Aktionäre fliesst. Allgemein war Begleitmusik zur Konjunktur der "shareholder values" jedenfalls ein enormer Anstieg der Topmanagementgehälter im Verhältnis zu den Durchschnittseinkommen der Angestellten und Arbeiter in den letzten Jahrzehnten. Ob die Shareholder damit gut bedient waren, müssen sie sich selbst fragen.
Dass Geld arbeitet, ist ein Missverständnis. Geld tut überhaupt nichts, sondern Menschen (oder von ihnen programmierte Computer) tun alles Mögliche mit Geld.
Frage 4:
Der von Alfred Rappaport in die Welt gesetzte Begriff des Shareholder-Value umfasste ja in der ursprünglichen Definition einen Zustand, in dem der Anteilseigner immer dann mit nachhaltigem "Value" rechnen kann, wenn es dem Unternehmen gelingt, die Interessen aller Beteiligten Stakeholder zu berücksichtigen. Ist diese ursprüngliche Definition nicht auch der Kern der sozialen Marktwirtschaft - halt auf angelsächsisch?
Das kann man gut so sehen. Aber an den Börsen geht es heute nur im Grenzfall um "fundamental values" und Nachhaltigkeit, und fast immer um die Erwartungen von Erwartungen, die Antizipation der Reaktion der Andern. Wo die vermuteten Reaktionen "der Märkte" zur Richtschnur des wirtschaftlichen Handelns geworden sind, gilt Rücksichtslosigkeit gegenüber den Stakeholdern als geschäftsfördernd.
Frage 5:
… Wie sehen Sie das: Sollte man den heute völlig zerfransten Begriff des „Shareholder Value“ aus ihrer Sicht einfach vergessen oder den Versuch wagen, die kontinentaleuropäische Sichtweise mit der angelsächsischen zu versöhnen?
Diejenigen, die auf "shareholder value" pochen, sind meist die mehr oder weniger selbsternannten Repräsentanten der wirklichen Shareholder, deren Geld die Repräsentanten in Aktien usw. anlegen. Von dem Einkommensstrom aus diesen Investitionen bleibt, siehe Hedgefonds, ziemlich viel bei diesen Repräsentanten hängen. Was halten eigentlich die wirklichen Shareholder von der Karriere dieses Schlagworts? Hat sich der Hype für sie gelohnt? Oder gewinnen bei diesem Spiel hauptsächlich die Mittelmänner und -frauen? Wenn ja, handelt es sich bei "Shareholder Value" um eine verbale Nebelkerze, auf die fast alle gut verzichten könnten.
Frage 6:
In ihren Artikeln sprechen sie oft davon, dass der „rheinische Kapitalismus“ durch den Neoliberalismus von Vorreitern wie „ Friedman und Hayek“ verloren gegangen sei. Tatsächlich forderte ja auch Josef Ackermann noch vor wenigen Jahren in einer Rede einmal explizit die Abschaffung dieses konsensorientierten Wirtschaftskonzepts. Warum hat sich eigentlich nie jemand größer über diese und andere Aussagen aufgeregt, obwohl sie ja den Kern des deutschen Wirtschaftsverständnisses nach dem Krieg angriffen?
Die Ära Ludwig Erhards, der Sozialen Marktwirtschaft und des Wirtschaftswunders ist lange her und für alle unter 50 keine gelebte Erinnerung. Spätestens seit Mitte der 70er Jahre war die deutsche Wirtschaftsentwicklung nicht mehr sonderlich zufriedenstellend. Die Alternative: "Weg von der Konsens-Soße!" bot sich für viele an, zumal nach dem Ende des realen Keynesianismus die ideologische Lufthoheit -- mit Blick auf die USA -- mehr und mehr an die Vertreter der Lehre von der reinen Marktwirtschaft überging. Aber etliche traditionelle Institutionen des deutschen Nachkriegskapitalismus blieben trotzdem erhalten, nicht zuletzt weil sie sich in Zeiten der Globalisierung und der Krise als Stärken herausstellten (z.B. das duale Ausbildungssystem, die Sozialversicherungen oder die staatlich gestützte Anpassung des Arbeitsvolumens an Konjunkturdellen über Kurzarbeit und nicht über Entlassungen).
Frage 7:
Anderes Thema, gleicher Hintergrund: Zurzeit wird das Thema Nahrungsmittelspekulation ja heiß diskutiert. Weil unter anderem die Deutsche Bank diese Art von Geschäften als nicht gefährlich für die Hungernden dieser Erde eingestuft hat. Hier wird dann regelmäßig das "Mantra der Märkte" bemüht: Spekulation sei gut, weil sie wichtig für die "Preisfindung" und die "Versorgung der Märkte mit Liquidität" sei. Wie beurteilen Sie das? Ist da etwas dran oder wird es nur dadurch "wahr" und glaubwürdig, dass man dieses Mantra gebetsmühlenartig wiederholt?
Mit dem Wort "Spekulation" werden sehr unterschiedliche Transaktionen bezeichnet. Einerseits geht es darum, die Ungewissheit, die die Zukunft nun einmal mit sich bringt, abzubauen, andererseits um das Ausnutzen von örtlichen Preisdifferenzen und schließlich um das reine Wetten auf den Eintritt von vermuteten Ereignissen und die vermuteten Reaktionen der andern Spekulanten darauf. Wenn ein Farmer im Mittelwesten seine im Sommer erst einzubringende Weizenernte jetzt in einem Warentermingeschäft am Chicagoer Commodity Exchange zu einem Preis verkaufen kann, der seine Kosten plus ein angemessenes Einkommen deckt, spricht nichts gegen eine solche Transaktion, auch wenn der Käufer, je nach Änderung der Preiserwartungen, die gleiche Weizenernte demnächst wieder verkauft und der nächste Käufer auch wieder usw. usf. Der Farmer hat sich, wenn die Ernte erwartungsgemäß ausfällt, Sicherheit über sein künftiges Einkommen verschafft. Insoweit es bei den Folgetransaktionen um das "Einpreisen" von relevanten Ereignissen (z.B. Nachrichten über die Weizenernte in andern Teilen der Welt) geht, spricht nichts gegen sie. Genausowenig spricht gegen das Ausnutzen regionaler Preisdifferenzen in Arbitragegeschäften, die diese Differenzen ja tendenziell eliminieren. Die Funktion der "Preisfindung" ist in beiden Fällen erfüllt und das ist nützlich, weil man auf Grundlage sozusagen "sozial gehärteter" Preise besser kalkulieren kann. Aber diese Art von Spekulation kann leicht übergehen in eine andere, bei der man mit kleinem eigenem Einsatz per Kredit sehr große Räder dreht und, wenn etwas schiefgeht, neue Gläubiger findet und seine Altschulden nur noch bedienen kann, indem man neue macht usw. Wenn "Versorgung der Märkte mit Liquidität" heissen soll, dass Banken bedenkenlos bei solchen Geschäften mitspielen wie der Vergabe, Neuverpackung und Vermarktung von Subprime-Hypotheken, nur weil die Nachfrage der Ahnungslosen (wozu wiederum auch Banken zählen) noch nicht nachgelassen hat, müssen Regeln gefunden werden, die den Übergang von Spekulation A in Spekulation B sichtbar machen und erschweren.
Frage 8:
Nun noch zum allfälligen Thema Hochfrequenzhandel. In ihrem 2011 erschienenen Artikel „Wir sind der Markt“ beschreiben sie „strukturierte“ Transaktionen der Märkte – das sind vor allem Verbriefungen aber wohl auch Derivate – eigentlich nur als mittels Geld verlängerte, auseinandergezogenene und anonymisierte Ketten von Handlungen, bei denen immer jeweils zwei Parteien ein Geschäft miteinander machen. Das Problem seien eben nicht die einzelnen Transaktionen, sondern der Umstand, dass diese Ketten meistens nicht mehr transparent sind bzw. man sich das nicht mehr klar mache. Diese im Kern absolut nachvollziehbare Feststellung scheint uns durch die kürzlich von der Bundesregierung gestartete Initiative, den Hochfrequenzhandel auf ein Aufrechterhalten der platzierten Angebote für "mindestens eine halbe Sekunde" festzunageln, konterkariert zu werden. Da drängt sich die Frage auf: Bildet der stetig zunehmende Hochfrequenzhandel und die mittlerweile erreichte Zahl von einer Million Derivaten wirklich noch solche Ketten von vorausgehenden Transaktionen ab? Oder ist er nur noch eine Maschinerie, die per Algorithmus das Geld aus den realen Märkten absaugt und zu Spielgeld macht?
Ich bin kein Spezialist in Sachen Hochfrequenzhandel, aber manchmal erweckt die Diskussion den Eindruck als sei automatisierter Handel wegen seiner Anonymität und Schnelligkeit unheimlich und deshalb von Übel. Aber warum soll der Ersatz von -- teuren -- Tradern durch Computer problematischer sein als der von Industriearbeitern durch Roboter? Ist dabei wirklich die Geschwindigkeit der Transaktionen das Problem? Die Computer reagieren nun einmal sehr viel schneller auf erfasste Arbitragechancen (usw.) als die üblichen hektischen Trader, machen aber im Prinzip nichts anderes. Und wenn etwas erkennbar schief geht, wie bei dem gelegentlichen "flash crash" (erstes Beispiel: 6% Kursverlust der amerikanischen Aktien in 5 Minuten am 10. Mai 2010, normal sind maximal Preisschwankungen von 1 bis 2% pro Tag), gibt es immer noch den roten Stop-Button, sogar in automatisierter Form. Kurz, ich sehe Probleme weniger in der technischen Durchführung von Transaktionen und mehr in dem, was da gehandelt wird, wo die reinen Wetten anfangen, wer mit wessen Geld spielt (ohne dass es dadurch zu Spielgeld wird!), welche Informationen wie geteilt werden.
Frage 9:
Und zum Abschluss noch eine Frage in eigener Sache: Die großen Medien sprechen gerne über „die Banken“ – meinen aber mehrheitlich die börsennotierten Großbanken. Mit den redaktionellen Beiträgen auf unserer Bankenbewertungsplattform www.gute-banken.de stellen wir uns bewusst auf die Seite der Sparkassen und Genossenschaftsbanken– die ja für den größten Teil „des Marktes“ in Deutschland stehen. Der Zuspruch und die Besucherzahlen wachsen ständig – im letzten Jahr hatten wir auf unseren Plattformen über 3 Millionen Besucher. Sind wir hoffnungslose Träumer oder braucht die Gesellschaft Plattformen wie unsere?
Gute Banken werden dringend gebraucht und alles, was zu deren Bekanntheit und Erfolg, wie Ihre Plattform, beiträgt, wird ebenso dringend gebraucht. Das Niveau der "financial literacy", des Wissens um die Funktionsweise der Finanzwelt, muss in Deutschland deutlich gesteigert werden, nicht zuletzt, damit die eher gemeinwohlorientierten Alternativen zu den großen börsennotierten Großbanken erhalten bleiben.
Herr Professor Ganßmann, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!
Kommentare
Herr Professor Ganßmann, in ihrem 2008 in Le Monde diplomatique erschienen Artikel ?Mehr ist Mehr? schlugen Sie eine erfrischend einfache Formel zur Unterscheidung zwischen soliden und aufgeblasenen Geldgeschäften und ?Geldvermehrungs verspechen? vor. Diese Formel basierte auf der einfachen Orientierung am durchschnittlic hen langfristigen Wachstum des Volkseinkommens im Kapitalismus. Und das liege eben bei 2%. Alles, was da signifikant drüber liege, so schrieben Sie damals sinngemäß - also auch die damals heiß diskutierte 25-prozentige Eigenkapitalren dite eines Josef Ackermann - tendiere dann eben zu einem aufgeblasenen Geschäft. Einem Geschäft eben, bei dem die eine Partei nur dadurch soviel gewinnen könne, dass die Gegenpartei verliere. Da drängt sich die ebenfalls erfrischend einfache Frage auf: Kann man den Grad an Verantwortung, den ein Marktteilnehmer für seine Geschäftspartner und die Gesellschaft übernimmt, am Ende wirklich in Prozent messen?
... Und in diesem Zusammenhang gleich noch eine Frage hinterher: Früher sagte man ja, dass die durchschnittlic he Rendite von Sachwerten wie Immobilien über 20 Jahre betrachtet bei etwa 3,5% und die von Aktienanlagen halt wegen des immanenten Verlustrisikos bei etwa 8% liege. Trotzdem war und ist der Anteil von Aktien in den "Portfolien " deutscher Anleger nach wie vor zu vernachlässigen. Jetzt lassen wir die 2% mal als Richtwert für Solidität mal beiseite ? wie sieht das der Soziologe in Ihnen: Sind die Deutschen einfach nur risikoavers oder haben sie am Ende doch noch ein Gespür für den rheinischen Kapitalismus und für das, was soziale Marktwirtschaft ausmacht?
In den letzten Monaten ist insbesondere bei der Deutschen Bank eine bizarre Situation zu beobachten. Einerseits beruft sich die Bank bei der Legitimation ihres Handelns gerne auf die ?nicht verhandelbaren? Interessen der Shareholder, die sie vorrangig vertrete. Nun erntet sie von genau diesen Shareholdern vermehrt Kritik - zuletzt wegen der im Verhältnis zu den Mitarbeiterboni geringen Dividendenaussc hüttungen (von der Entwicklung des Börsenkurses ganz zu schweigen). Beginnt das System, sich selbst zu zersetzen oder sollte man all die Pressemeldungen der letzten Wochen eher als eine gut eingefädelte und inszenierte Kampagne zur Unterfütterung des angekündigten Kulturwandels betrachten?
Dass die Interessen der Shareholder als "nicht verhandelbar" gelten sollen, soll vielleicht schon im Vorfeld befürchtete regulative Eingriffe abwehren, die z.B. die Forderung nach höheren Eigenkapitalquo ten mit dem Aussetzen von Dividendenzahlu ngen, bis mehr Eigenkapital aufgebaut ist, verkoppeln könnten. Einigermassen rationale Shareholder sollten eigentlich ein Interesse an stabilen und vernünftig wirtschaftenden Unternehmen haben, auch wenn durch erforderliche Umbauten die Dividende zeitweise mager ausfällt. Aber das scheint nicht in Gehirne zu passen, die im Kurzfristmodus getaktet sind.
Bleiben wir noch einen Moment bei diesem Thema: In der vergangenen Woche trieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Rede über die Forderungen der Shareholder auf die Spitze indem sie die sich auf etwa 13 Milliarden Euro pro Jahr summierenden Gehälter der über 90.000 Angestellten der Deutschen Bank direkt und nahtlos mit "nur" 770 Millionen Euro Dividenden für die etwa 660.000 Shareholder verglich. Was sagt der Soziologie: Gibt es zwischen dem arbeitenden Menschen und dem arbeitenden Geld keinen substantiellen Unterschied mehr? Oder ist uns der Begriff der Arbeit im Zuge des Casino- Kapitalismus verloren gegangen?
Dass Geld arbeitet, ist ein Missverständnis. Geld tut überhaupt nichts, sondern Menschen (oder von ihnen programmierte Computer) tun alles Mögliche mit Geld.
Der von Alfred Rappaport in die Welt gesetzte Begriff des Shareholder-Value umfasste ja in der ursprünglichen Definition einen Zustand, in dem der Anteilseigner immer dann mit nachhaltigem "Value" rechnen kann, wenn es dem Unternehmen gelingt, die Interessen aller Beteiligten Stakeholder zu berücksichtige n. Ist diese ursprüngliche Definition nicht auch der Kern der sozialen Marktwirtschaft - halt auf angelsächsisch?
? Wie sehen Sie das: Sollte man den heute völlig zerfransten Begriff des ?Shareholder Value? aus ihrer Sicht einfach vergessen oder den Versuch wagen, die kontinentaleuro päische Sichtweise mit der angelsächsischen zu versöhnen?
In ihren Artikeln sprechen sie oft davon, dass der ?rheinische Kapitalismus? durch den Neoliberalismus von Vorreitern wie ? Friedman und Hayek? verloren gegangen sei. Tatsächlich forderte ja auch Josef Ackermann noch vor wenigen Jahren in einer Rede einmal explizit die Abschaffung dieses konsensorientie rten Wirtschaftskonz epts. Warum hat sich eigentlich nie jemand größer über diese und andere Aussagen aufgeregt, obwohl sie ja den Kern des deutschen Wirtschaftsvers tändnisses nach dem Krieg angriffen?
Anderes Thema, gleicher Hintergrund: Zurzeit wird das Thema Nahrungsmittels pekulation ja heiß diskutiert. Weil unter anderem die Deutsche Bank diese Art von Geschäften als nicht gefährlich für die Hungernden dieser Erde eingestuft hat. Hier wird dann regelmäßig das "Mantra der Märkte" bemüht: Spekulation sei gut, weil sie wichtig für die "Preisfindu ng" und die "Versorgung der Märkte mit Liquidität" sei. Wie beurteilen Sie das? Ist da etwas dran oder wird es nur dadurch "wahr" und glaubwürdig, dass man dieses Mantra gebetsmühlenartig wiederholt?
Nun noch zum allfälligen Thema Hochfrequenzhan del. In ihrem 2011 erschienenen Artikel ?Wir sind der Markt? beschreiben sie ?strukturierte? Transaktionen der Märkte ? das sind vor allem Verbriefungen aber wohl auch Derivate ? eigentlich nur als mittels Geld verlängerte, auseinandergezo genene und anonymisierte Ketten von Handlungen, bei denen immer jeweils zwei Parteien ein Geschäft miteinander machen. Das Problem seien eben nicht die einzelnen Transaktionen, sondern der Umstand, dass diese Ketten meistens nicht mehr transparent sind bzw. man sich das nicht mehr klar mache. Diese im Kern absolut nachvollziehbar e Feststellung scheint uns durch die kürzlich von der Bundesregierung gestartete Initiative, den Hochfrequenzhan del auf ein Aufrechterhalte n der platzierten Angebote für "mindestens eine halbe Sekunde" festzunageln, konterkariert zu werden. Da drängt sich die Frage auf: Bildet der stetig zunehmende Hochfrequenzhan del und die mittlerweile erreichte Zahl von einer Million Derivaten wirklich noch solche Ketten von vorausgehenden Transaktionen ab? Oder ist er nur noch eine Maschinerie, die per Algorithmus das Geld aus den realen Märkten absaugt und zu Spielgeld macht?
Und zum Abschluss noch eine Frage in eigener Sache: Die großen Medien sprechen gerne über ?die Banken? ? meinen aber mehrheitlich die börsennotier ten Großbanken. Mit den redaktionellen Beiträgen auf unserer Bankenbewertung splattform www.gute-banken.de stellen wir uns bewusst auf die Seite der Sparkassen und Genossenschafts banken? die ja für den größten Teil ?des Marktes? in Deutschland stehen. Der Zuspruch und die Besucherzahlen wachsen ständig ? im letzten Jahr hatten wir auf unseren Plattformen über 3 Millionen Besucher. Sind wir hoffnungslose Träumer oder braucht die Gesellschaft Plattformen wie unsere?
(Der gesamte Text ist auch hier zu finden: www.gute-banken.de/gb/meldungen/23228.html)