claim von gute-banken

Deutsche Wirtschaftswissenschaftler denken zunehmend amerikanisch. Ist das jetzt gut oder schlecht?

Bemerkenswert: Die Süddeutsche Zeitung („Umfrage: Wie deutsche Ökonomen wirklich denken“, 20.6.15) kommentiert eine Umfrage unter Wirtschaftswissenschaftlern. Hat sich ihre Denkweise in den letzten Jahren verändert? Interessant daran ist der binäre Gedanke des Artikels: Denken die Ökonomen „deutsch“  oder „angelsächsisch / amerikanisch“?…

Dass diese Frage gestellt und dieser Unterschied gemacht wird, freut uns insofern, als wir sie ja schon seit geraumer Zeit auch immer einmal wieder ins Spiel bringen. Wie passen das europäische und das angelsächsische System eigentlich zusammen?

Besprochen wird dieser Unterschied anhand von drei Themen:

-       der „Austeritäts-Politik“ vor allem der deutschen Regierung, die kurz gesagt fordert, dass man auch in Krisenzeiten sparen muss, anstatt den Markt durch Ausgaben zu stimulieren

-       dem direkten Eingreifen der Europäischen Zentralbank ins Geschehen durch den Ankauf von Staatsanleihen, um den Zusammenbruch des Marktes zu verhindern

-       der amerikanischen Kritik daran, dass die deutsche Wirtschaft mehr exportiert als sie importiert und deshalb sehr große Exportüberschüsse aufweist.

Um das ein wenig verständlicher zu machen, bringt die SZ es auf eine kurze Formel:

-       Um die Wirtschaft aus der Krise zu holen, griffen Anglo-Amerikaner stets zu billigem Geld durch niedrige Zinsen und mehr Ausgaben des Staates.

-       Die Hüter strenger Geld- und Finanzpolitik in Deutschland plädierten für das genaue Gegenteil: Höhere Zinsen und schnelle Einschnitte im Etat.

Wer in dieser Frage recht hat? Die Antwort dürfte wohl einfach und pragmatisch lauten: Derjenige, der mit seiner Handlungsweise am schnellsten zum Ziel kommt. Mehr können wohl weder der SZ-Artikel noch wir dazu sagen.

Erstes Fazit: Die Wirtschaftswissenschaft „ist“ heute angelsäsisch / amerikanisch

Was die in dem Artikel vorgestellte Umfrage unter 1002 Wirtschaftswissenschaftlern dann eigentlich lehren kann? Wohl vor allem eines – das die SZ übrigens auch sauber heraus arbeitet:

Die bei den Befragten festgestellte Tendenz, amerikanisch-pragmatisch (der Zweck heiligt die Mittel) zu denken, hänge – so die SZ – wohl auch damit zusammen, dass „Amerika akademisch immer noch den Maßstab setzt“. Wer als Wirtschaftswissenschaftler etwas werden wolle, müsse eben in US-Fachzeitschriften publizieren. Und deshalb würden immer mehr Professoren eine Zeit in den USA verbringen.

Und das ist wohl der Punkt: Deshalb muss eine Umfrage unter noch so deutschen Wirtschaftswissenschaftlern auch mehr „amerikanische“ als deutsche Ergebnisse bringen. Muss einem das zu denken geben? Naja. Die Wirtschaftswissenschaften sind derzeit wohl in der gesamten westlichen Welt vor allem eines: sehr zahlenbasiert.

Ob solche eine zunehmend angelsächsische Denkweise unter deutschen Wirtschaftswissenschaftlern nun eher gut oder eher schlecht ist? Auch das ist wohl schwer zu sagen.

Wichtig erscheint uns hier vor allem eines: Dass auch die SZ und andere Medien zunehmend darauf hinweisen, dass es auch andere Denkmöglichkeiten gibt und den Fokus langsam weiter aufziehen und dabei alternative Sichtweisen identifizieren. Das der ausgerechnet in der Finanzkrise populär gewordene politische Topos der „Alternativlosigkeit“  im Anschluss zum Unwort des Jahres gewählt wurde, mag zur Erkenntnis sicher beigetragen haben. EIn System, das einem systemimmanent nur eine Handlungsalternative bietet und keine Wahl lässt, hat ja mit der viel geforderten Mündigkeit wenig zu tun. Bleibt die Frage: Welches wären denn die weiteren Alternativen?

Wird sich die Wirtschaftswissenschaft wirklich immer nur um kalte Zahlen drehen – oder geht das auch anders?

Die Frage, ob die extreme Zahlenorientierung wirklich der Weisheit letzter Schluss und vor allem die Zukunft der Wirtschaftswissenschaft bleiben wird, wird deshalb sicher noch intensiver gestellt werden. Ganz neu ist sie ja nicht:

 

Wir erinnern hier gerne an einen ein alten Artikel in Spiegel-Online („Lernt unsere Sprache, bevor ihr mitredet“, 5.1.12), in dem es über eine Revolte französischer Wirtschafts-Studenten gegen ihr eigenes Fach ging, die sie als „eine marktradikale, hyperrationalistische Religion“ betrachteten, die nur dazu da sei, „Ausbeutung durch Finanzkapitalisten zu legitimieren“.

 

Besonders interessant in diesem Artikel war die Erwähnung des Konzept der wohlgemerkt französischen Studenten für eine „post-autistische Ökonomie“ – sinngemäß die Frage, ob die Volkswirtschaftslehre im Ganzen nicht eventuell zuviel ausrechne und zuwenig über ihre Funktion als Sozialwissenschaft nachdenke – und deshalb Anzeichen von Autismus trage: Die nicht oder nur schwach ausgeprägte Unfähigkeit zur sozialen Interaktion. Diese Verknüpfung der Finanz-Ökonomie mit autistischen Zügen und die Forderung einer „post-autistischen“ Ökonomie geht übrigens auf einen Artikel in Le Monde vom 21.6.2000 („Des étudiants en économie dénoncent le manque de « pluralisme » de l'enseignement dispensé“) zurück, auf den der Post-Autismus-Begriff heute allgemein basiert wird. In diesem französischen Artikel wird übrigens auch der „Vater der Ökonometrie“ Malinvaud zitiert, der auf einem Kongress mal die Frage gestellt habe, ob die mathematische Modellierung nicht zu häufig angewandt würde. Denn schließlich sei sie nicht dazu da, „abstrakte Modelle für imaginäre Wirtschaftsmodelle zu produzieren.

Zweites Fazit: Es wird wohl noch eine Weile dauern…

Diese Art der Auseinandersetzung wäre natürlich auch einmal wieder wünschenswert Allerdings können das wohl wirklich nur die Franzosen, die im Unterschied zu den meisten anderen Nationen das interdiziplinäre und gesellschaftliche Denken in ihrer Philosophie noch pflegen und hochhalten.

Immerhin kam aber kürzlich auch die FAZ in einem Nebensatz zu dem Schluss, dass es die angelsächsische Kapitalmarktkultur gewesen sei, „deren Fehlentwicklungen die Finanzkrise ausgelöst haben“.

Also: Gerade mit solchen großen und transnationalen Entwicklungen muss man einfach viel Gelduld haben. Vor allem wenn sie vor lauter Zahlen das nicht mehr sehen, was sie mt diesen Zahlen eigentlich messen, steuern und unterstützen sollten: Das Wohl der Menschen… oder anders gesagt: Das Gemeinwohl.

 

 

 

weitere Einträge

Kommentare

Kommentare 

-1 # Autor 2015-06-24 15:15
Um das nochmal in einen anderen Rahmen einzuordnen hier ein Interessanter Artikel.


http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/oekonomie-ist-eigentlich-keine-wissenschaft-11418489.html#GEPC;s5
Antworten | Antworten mit Zitat | Zitieren

Kommentar schreiben

Bleiben Sie bitte sachlich und themenbezogen in Ihren Beiträgen und unterlassen Sie bitte links- und rechtsradikale, pornographische, rassistische, beleidigende und verleumderische Aussagen.