Nackt sein ist peinlich! Oder: Warum Geldspieler keine durchsichtige Banken mögen
Heute wurden sprachlich gesehen in vielen Medien die Hosen runtergelassen. Der Grund dafür: Die Staats- und Regierungschefs der EU haben sich heute darauf geeinigt, dass die Ergebnisse der sogenannten Stresstests für 25 Großbanken veröffentlicht werden sollen. Und prompt gibt es aus der Geldwelt und ihren Medien Reaktionen...
Worum geht’s beim Stresstest? Ganz kurz gesprochen: Die Banken rechnen sich da auf der Basis von irgendwelchen Annahmen einen Wolf. Beim Stresstest geht es darum, einmal herauszufinden (auszurechnen), ob eine Bank im Falle einer weiteren Krise oder schlechten Rahmenbedingungen über den Jordan gehen würde. Im Prinzip ist das ein also ein Berechnungs- und Simulationsverfahren (was passiert, wenn....?), das entwickelt wurde, um mit Risiken umzugehen.
So schreibt die Zeitschrift Die Bank (das ist ein Fachmedium für Banken) schon in ihrer Ausgabe 5/2009:
„Ein weit verbreitetes Vorgehen bei Stresstests sieht folgendermaßen aus: Auf Basis statistischer Erhebungen werden extreme Schwankungen von Marktparametern berechnet, zum Beispiel von Zinsen oder Währungskursen. Anschließend betrachtet man deren Auswirkungen auf ein bestimmtes Portfolio oder das gesamte Institut. Ein solches Extrem-Szenario wäre zum Beispiel eine Zinsänderung um 200 Basispunkte, wie es Säule 2 von Basel II für Stresstests vorschreibt.“
Noch einmal: Die Stresstests sind ein Instrument, mit dem zunächst einfach nur ausgerechnet wird, welche Auswirkungen bestimmte Risiken haben. Die Frage, die bisher wohl kaum gestellt wird: Wem dient das eigentlich?
Wie immer lohnt es sich, ein wenig tiefer zu graben.
Wen schützt der Stresstest wovor?
Nachdem der Stresstest im Grunde ein normales Recheninstrument ist, kann man sich zwei Dinge fragen: Erstens - nutzt der Stresstest in erster Linie den Banken oder den Bankkunden? Zweitens: Warum haben die das nicht schon lange vorher gemacht?
Die Deutsche Bank schreibt in ihrem Konzernbericht vom 31.12.2009 unter dem Stichwort Risikosteuerungsinstrumente:
Unsere Analyse der Kredit-, Markt-, operationellen und Liquiditätsrisiken ergänzen wir um Stresstests. Für das Kreditrisikomanagement führen wir Stresstests durch, um den Einfluss von Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oder spezifischer Parameter auf unser Kreditengagement beziehungsweise auf Teile davon einzuschätzen. Auch der Einfluss auf die Bonitätsbeurteilung unseres Portfolios wird berücksichtigt.
Nicht uninteressant: Da wird über die Risiken bei vergebenen Krediten gesprochen. Damit würde in der Konsequenz der Stresstest so interpretiert werden, dass man manche Kredite vorsichtshalber nicht gibt. Ach ja: Und man wird auch den Teil „berücksichtigen“, der in Wahrheit die Krise verursacht hat: Die Kreditportfolien, die man gehandelt hat...
Welche Funktion hat die Veröffentlichung?
Der eigentlich wichtige und für uns interessante Punkt: Die EU hat nun die Veröffentlichung der Stresstest-Ergebnisse der Banken beschlossen. Und hier kommt aus der Geldwirtschaft sehr viel Widerstand – interessanterweise sagen sowohl die Kapitalwirtschaft als auch sogar Sparkassen: Davor haben wir Angst!
So schreibt die Financial Times Deutschlands am 17.6.2010 unter der Headline „Warum Banken nicht zu durchsichtig sein sollten“:
Transparenz und Offenheit sind prinzipiell eine gute Sache. Allerdings kann es turbulent werden, wenn bisher eher verschlossene komplexe Systeme in allzu kurzer Zeit allzu durchsichtig werden. Das gilt nicht nur für politische Konstrukte wie das ehemalige Sowjetreich, sondern auch für das Finanzsystem.
Das muss man sich nun wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen: Selten wurde die Parallele zwischen dem dirigistischen, machtbasierten Sozialismus und dem ebenso dirigistischen und machtbasierten Kapitalismus so klar dargestellt. Die Maske beginnt zu fallen...
Es geht aber bei der Financial Times noch weiter:
Wenn es wirklich darum ginge, das Vertrauen in den europäischen Bankensektor zu stärken, gäbe es einen besseren Weg: schnell strengere Eigenkapitalanforderungen umsetzen, um den Anreiz zur Aufnahme hoher Risiken zu senken. Doch davor scheuen die Aufseher zurück, unter anderem weil die Banken davor warnen, dass sie dadurch über Gebühr belastet würden. Ein Argument, das ebenfalls vor allem eins ist: durchsichtig.
Sogar die Financial Times beginnt also, dialektisch zu denken: Die Banken warnen vor Vertrauensverlust (den sie selbst verursacht haben und der sich auf sie bezieht). Ein Gespenst geht um in Europa: Die Angst davor, dass herauskommt, wie schlecht die Kapitalwirtschaft gewirtschaftet hat – eben genau die Kapitalwirtschaft, die den Volkswirtschaften vorwirft, so schlecht gewirtschaftet zu haben und sie deshalb (Beispiel Griechenland) in Ratings herunter bewertet und in finanzwirtschaftliche Probleme treibt.
Ähnlich sehen es auch die öffentlichen Banken. So schreibt die Zeit am 17.6.2010 unter der Headline „EU will Banken-Stress-Test“ veröffentlichen:
Auch der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands, Heinrich Haasis, hat sich gegen die Veröffentlichung der Ergebnisse ausgesprochen. "Diese Tests zu veröffentlichen, würde nie und nimmer zu mehr Vertrauen führen", sagte er auf dem Bankentag in Frankfurt.
Die Banken – sowohl die guten als auch die schlechten – haben Angst vor der Veröffentlichung. Und jetzt beginnen sie plötzlich wieder volkswirtschaftlich zu denken. Das ist vernünftig. Denn schließlich leben die Banken von den Volkswirtschaften. Das hatten sie nur lange vergessen.
Die Politik denkt weiterhin im System der Kapitalwirtschaft und versucht es, durch Selbstkontrolle, ein paar Berechnungen und sozialen Druck zur Vernunft zu bringen.
Um was geht es wirklich?
Wenn man genau hinsieht, sollte man sich wohl die Frage stellen: Kann man durch Berechnungen überhaupt Vertrauen schaffen? Lange Zeit haben viele geglaubt, dass das gehen würde. Immer mehr Menschen kommen zu dem Schluss: Vertrauen schafft man durch Verlässlichkeit und dadurch, dass man seine dienende Funktion (als Dienstleister) richtig erfüllt. So einfach wäre es eigentlich. Und das sollte für jede Bank ebenso wie jedes Unternehmen gelten. Das kann man auch messen. Allerdings nicht mit seltsamen „Wer ist der beste-Tests“, wie sie uns von Geldmedien wie Euro, Finanztest, Focus Money und Konsorten ständig zwischen die Augen gegeben werden. Es gibt hierzu ein paar schöne Zeilen von Herrmann van Veen:
Ein Mann in Stock und Schirm und Hut
Wirkt ernst und sehr gewichtig
Und jeder Frau gefällt er
Aber wenn er nackt vorm Spiegel steht
Wirkt manches nichtig.
Die Nacktheit, die den Banken vorgeschrieben wird, ist den Banken peinlich. Denn dabei könnte herauskommen, dass sie nicht das Richtige gemacht haben. Na, das hätten wir ja mittlerweile schon mitgekriegt...
Was können wir tun?
Was können wir tun? Wenn Sie wissen wollen, ob ihre Bank vertrauenswürdig ist, dann fragen Sie Ihren Bankberater einfach,
- ob die Bank den Stresstest unbeschadet überstehen würde
- ob die Bank neue Risikomaßnahmen oder –bewertungen eingeführt hat oder einführen will
- ob die Bank durch diese Maßnahmen mehr, weniger oder gleich viel Kredite an Privatkunden oder mittelständische Unternehmen geben könnte
Wenn Ihnen die Antworten gefallen, bleiben Sie bei Ihrer Bank. Wenn nicht gehen Sie dorthin, wo Ihnen die Antworten gefallen!
Fazit:
Trau keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast. Man kann schlechte Berechnungen nicht durch gute Berechnungen verbessern. Solange Qualität und gesellschaftliche Wirksamkeit nur durch Berechnungen und Werte wie Eigenkapitalrendite etc definiert und gesteuert wird, ändert sich nichts.
Während dessen stürzt sich die Deutsche Bank in ihrer Website auf das Thema „gesellschaftliche Verantwortung“ bzw. auf Ihren Jahresbericht zu ihrem gesellschaftlichen Engagement. Volle Kanne auf der Willkommenseite. Sie berichtet über ihre guten Taten.“ Ich kann gar nicht genug essen, wie ich kotzen möchte“ sagt Biedermann zu seinen Brandstiftern. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.
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