EU gegen Leerverkäufe, IWF dafür – wie isses nu’ richtig?
Oder: Wer blamiert wen?
Unter Headlines wie „IWF-Bericht blamiert Deutschland“ (Focus Money Online) berichten die Medien am 17.8.2010: Der EU-Kommissar Michel Barnier hatte zur Absicherung der einheitlichen EU-Strategie zum Umgang mit Leerverkäufen vom Internationalen Währungsfonds einen Bericht angefordert. Blöde nur: Der in New York ansässige IWF findet Leerverkäufe immer noch nicht schädlich. In Deutschland wurden ja wie wir wissen wenigstens die ungedeckten Leerverkäufe verboten. Ja, wer hat nun also recht? ...
Interessant ist zunächst, wie sich die Meldungen von einem Tag auf den anderen verändern. Ist am 17.8.2010 überall noch die Rede davon, dass der IWF mit seinem Urteil die deutsche Regierung blamiere und kritisiere, relativiert das Handelsblatt am 18.8.2010 unter der Headline „ Union weist IWF-Kritik an Schäuble scharf zurück“:
Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist mit diesem Vorgehen nicht einverstanden. Die Finanzmarktexperten des Währungsfonds greifen die Bundesregierung in einem neuen Bericht zu Leerverkäufen zwar nicht namentlich an. Trotzdem weiß jeder, wer gemeint ist: „Nationale Alleingänge wirken in hochintegrierten Märkten unnötig verzerrend und ungenügend“, schreiben die Fonds-Fachleute.
Genau genommen greift der Bericht laut Handelsblatt Deutschland also gar nicht an. Man fragt sich: Warum wurde das allenthalben so interpretiert? Vielleicht einfach nur deshalb, weil die meisten Medien immer noch daran glauben, dass es Sinn macht, etwas zu verkaufen, das man gar nicht besitzt?
Wie immer lohnt es sich, ein wenig tiefer zu graben....
Was sind ungedeckte Leerverkäufe nochmal genau?
Wer das System noch nicht durchdrungen hat: Das Handelsblatt gibt in seinem Artikel „Union weist IWF-Kritik an Schäuble scharf zurück“ vom 18.8.2010 eine Erklärung:
Ungedeckte Leerverkäufe sind nach Ausbruch der Finanzkrise in die Kritik geraten, weil Anleger dabei auf fallende Kurse wetten. Sie leihen sich Aktien oder Rentenpapiere aus und verkaufen sie, nur um sie kurze Zeit später zu einem niedrigeren Kurs wieder zu erwerben und an den Eigentümer zurückzugeben. Die Anleger kassieren mit der Verkaufsspanne hohe Gewinne, doch zugleich treiben sie die Kurse in den Keller, monieren Kritiker.
Die Erklärung ist zwar nicht ganz richtig, weil es sich bei dem hier beschriebenen nicht um ungedeckte, sondern um gedeckte Leerverkäufe handelt. Macht aber nix. Es reicht um zu verstehen: Leerverkäufe dienen immer dazu, auch bei fallenden Kursen noch einen guten Schnitt zu machen. Und damit sind sie ein Instrument, um mit Geld neues Geld zu machen. Abgekoppelt von dem, was hinter dem Geld steht. Unternehmensanteile oder gar Staatsanleihen. Durch die Möglichkeit von Leerverkäufen kommt es nicht mehr darauf an, ob er Kurs steigt oder sinkt. Es ist einfach egal! Und von Verantwortung spricht ja keiner...
Wie groß ist das Problem eigentlich?
Es ist ja immer gut, wenn man weiß, worüber man redet. Sucht man in den üblichen Publikationen nach Zahlen, die über die Größe des Problems der Leerverkäufe Auskunft geben, findet man aber nahezu nichts. Zum Glück gibt es die öffentlich verfügbare Antwort der Deutschen Bank auf die Konsultation durch die EU-Kommission vom 12.7.2010, die offenbar beschwichtigend angibt:
There are estimates that short sellers are responsible for 20-30% of all equity trading volume. Research has shown that public disclosure decreases short sellers’ participation in equity markets by 20-25%. The reason for this is probably a decrease in the willingness of investors to participate in short selling markets. The decrease in liquidity means a decrease in trading volumes and a widening of bid-ask spreads. Price discovery becomes less efficient and intraday volatility increases.
Also mal auf deutsch: 20-30% der Transaktionen an der Börse sind Leerverkäufe. Durch entsprechende Veröffentlichungspflichten sei die Leerverkaufs-Aktivität um 20-25% heruntergegangen. Böse, böse, böse...
Da wird einem langsam auch klar, warum man an dieses Thema nicht so recht dran will. Der Markt basiert zu einem Viertel aus diesen Luftbuchungen. Wenn man sie wie - in Deutschland im Mai geschehen - zum Teil verbietet, geht natürlich die Lust an der Spekulation auf fallende Kurse zurück. Aber mal ehrlich: Was würde man von einer finanzmarktorientierten Bank erwarten – wenn nicht eben eine rein auf den Finanzmarkt fokussierte Antwort?
Was sagt Deutschland?
Nun muss man sich umgekehrt natürlich fragen: Wenn das alles doch finanzmarktmäßig so praktisch ist - ist der Deutsche Bundestag denn dann mit dem Klammersack gepudert, oder warum verbot er die ungedeckten Leerverkäufe? Das Bundesministerium der Finanzen gab am 10.6.2010 unter der Überschrift: „Die derzeit gefährlichsten Finanzinstrumente verbieten“ eine nette Erklärung:
„An stabilen, ruhigen Märkten verdienen die Spekulanten nicht so viel. Die alte Börsenweisheit „Hin und her macht Taschen leer“ gilt offensichtlich nicht mehr, sondern das Gegenteil. Mit dieser Tendenz zur Volatilität können die Finanzmärkte die Bemühungen der Politik, in einer Krise rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen und die Lage zu stabilisieren ,unterlaufen.“
Mit dem Verbot der ungedeckten Leerverkäufe zielte die Bundesregierung darauf ab, den Finanzmarkt ein wenig mehr auf das zu beschränken, was er eigentlich sein soll: Ein Instrument zur Sicherung von Liquidität – und nicht zum Aufblähen derselben. Bleibt die nächste Frage:
Was sagt Europa?
Zunächst ist ja derzeit überall zu lesen, dass Europa die Initiative Deutschlands nicht so witzig fand. Viel lieber will man statt Alleingängen eine einheitliche Position und Regelung haben. Im Prinzip sieht man die Sache mit den Leerverkäufen aber ähnlich. Das sagt wenigstens die Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Auswirkungen der Tätigkeit von Beteiligungsfonds, Hedge-Fonds und Staatsfonds auf den industriellen Wandel in Europa" vom 5.11.2009:
„Die Renditen von Verwaltern alternativer Investmentfonds übertreffen grundsätzlich diejenigen des herkömmlichen Börseninvestments. Sie sind allgemein erfolgreich bei der Ausführung der Strategie "Höheres Risiko - höhere Rendite". Zum Beispiel praktizieren Hedge-Fonds-Verwalter durchweg Leerverkäufe. Der Hedge-Fonds leiht sich Aktien der Zielgesellschaft. Diese erhält er von einem Aktieneigentümer mithilfe eines Mittlers, der dafür eine Gebühr kassiert. Anschließend verkauft der Hedge-Fonds die Aktien in der Hoffnung auf Kursverluste. Zu gegebener Zeit muss der Hedge Fonds die Aktien zurückkaufen, um sie dem Besitzer wiederzugeben. Fällt der Aktienkurs, so erzielt der Fonds einen Gewinn, der aber auf 100% des Einsatzes begrenzt ist. Steigt der Aktienkurs dagegen, ist der potenzielle Verlust unbegrenzt. Leerverkäufe sind somit äußerst risikobehaftet.“
Ganz offenbar wird die Problematik glasklar erkannt. Das Spiel mit Leerverkäufen wird in diesem Kontext auch eindeutig als Instrument der Hedge Fonds identifziert. Aber trotzdem wollte man sich halt beim IWF mal noch absichern....
Was sagen die Gewerkschaften?
Allerdings wird es jetzt dialektisch: Denn bei ihrem auf dem europäischen Restructuring Forum in Brüssel am 5.7.2010 gehaltenen Vortrag „Pension Fund Investments in Activist Hedge Funds – Ensuring Accountability Across the Investment Chain “ zeigt das „Trade Union advisory Commitee to the Organisation for economic cooperation and development“ – also die gewerkschaftlichen Berater der OECD - die Verstrickung der Volkswirtschaften mit den Hedge Funds über die Pensionsfonds, in denen die Rentenzahlungen der Zukunft gehortet werden:
- Pension funds’ share of hedge funds’ funding
– 25% - 40% ?
– more if funds-of-funds are included
Hedge funds’ share of pension funds’ portfolio
– Netherlands 3.4%, UK 1.5%, Swiss 3.3%, Australia 5%, …
Es gibt also eine massive wechselseitige Verstrickung zwischen Pensionsfonds und Hedge Funds. Durch den Einstieg in Hedge Fonds sichern sich Pensionsfonds eine gute Rendite. Schwierig, schwierig, schwierig.... Aber dennoch ist man ja bereit, sich nicht mehr vom Finanzmarkt beherrschen zu lassen. Auch wenn man ihn braucht.
Bleibt spaßeshalber noch die Frage:
Was sagt die Deutsche Bank?
Dass die Deutsche Bank von Leerverkaufsverboten nicht viel hält, scheint wie schon gesagt eh klar. Wir hatten darüber vor einigen Wochen schon mal geschrieben. Allerdings findet sich in der bereits erwähnten Antwort zur Konsultation der EU ein interessanter Aspekt, den wir Euch nicht vorenthalten wollen. Originalton Deutsche Bank vom 12.7.2010:
As has been repeatedly stated by both the industry and regulators over the past two years, short selling is a legitimate strategy and vital for market liquidity. Short selling has been blamed for increased volatility and rapid price drops in 2008, but market and academic research refutes that hypothesis.
Wie gesagt: es lohnt sich immer, ein wenig tiefer zu graben. Auf der Suche nach einem Statement der Regulatoren über die Leerverkäufe als legitime Strategie wird man tatsächlich fündig – und zwar in dem ebenfalls auf dem Restructuring Forum in Brüssel gehaltenen Vortrag von Peter Morgan, Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, „The truth About Hedge Funds,“ vom 5.7.2010. Dort steht auf Folie 18 in der Tat:
Short selling is a legitimate strategy.
Tatsächlich steht in diesem Foliensatz auch, dass die Präsenz der Hedge Fonds zum einen aufgrund einer Anfang 2010 von der FSA, der „unabhängigen“ britischen Financial Services Authority vorgelegten Studie mit weniger als 3% des Marktes zu gering sei, um das System zu bedrohen. Überdies schließt das Fazit des Votrages:
„Sophisticated investors do not need consumer protection“
Lobbyarbeit also erfolgreich abgeschlossen. Aber dies nur am Rande ..
Fazit:
Ja, welches Fazit ist aus all dem zu ziehen? Wohl nur das eine: Es bleibt spannend. Wann wird wieder Vernunft einkehren? Wann wird die Erkenntnis, die einer unserer Leser kürzlich so treffend formulierte:
Das Kernproblem sehe ich in einem Paradigmenwechsel der deutschen Großbanken: weg vom Hausbank-Paradigma, hin zum Investmentbanking und einer totalen Finanzmarktorientierung.
Darin liegt wohl auf die Dauer wirklich die Lösung: Dass Banken wieder ihre dienende Funktion einnehmen. Denn wie man sieht, wird in der allgemeinen Diskussion alles Mögliche hinterfragt und diskutiert – aber die Diskussion bleibt immer im finanzökonomischen Bereich. Anstatt sich einmal einfach nur die Frage zu stellen: Wofür steht Geld in der Gesellschaft?
Bis diese Frage allgemein geklärt ist, können wir sie ja solange quasi bilateral mit unseren Banken klären. In dem wir unsere Bänker fragen
-
ob ihre Bank selbst Leerverkäufe befürwortet
-
ob sie mit Hedge Fonds in irgendeiner Weise kooperiert
-
was sie von der aktuellen pro und contra Leerverkaufs-Verbot hält
Wie sagte Peter Morgan so schön: Aufgeklärte Investoren brauchen keinen Verbraucherschutz. Na also: Wenn uns die Antworten unserer Bank gefallen, bleiben wir dort. Und wenn nicht? Dann nicht!
Noch etwas? Na klar! Zum Beispiel könnt Ihr einfach
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