Eine ganz andere Diskussion über Eurobonds: Oder: Es gibt „kein richtiges Leben im falschen ".
Nachdem sich der Chefvolkswirt der Deutschen Bank im Handelsblatt („Deutsche Bank sieht Eurobonds als Giftpillen“, 16.8.11) erst zum Oberdemokraten aufschwang, indem er eine mögliche Einführung unerwünschter Eurobonds als „demokratisch nicht legitimiert“ brandmarkte, war er gewissermaßen im nächsten Satz schon wieder ganze Bänker und stellte fest, Eurobonds ergäben ja für alle dasselbe Zinsniveau - zum Schaden „der Deutschen“, zum Nutzen der Krisenländer. Ach ja, dann mutierte er noch zum Staatsmann: Außerdem solle Frankreich mal eine Schuldenbremse in die Verfassung schreiben…
Als wir diese Äußerungen aus dem Handelsblatt zitierten, entspann sich bei uns eine Diskussion, die so schön war, dass wir sie hier noch einmal wiedergeben wollen.
Der kranke Mann in Europa von 2001 war Deutschland
Das insgesamt Seltsame an dieser ganzen Diskussion ist ja auch der völlig vergessene Zustand, in dem Deutschland noch vor 10 Jahren war. 2001 hießen wir nur "Schlusslicht in Europa". Man kann also sagen: Was heute einem anderen Land passiert, ist uns schon passiert und kann uns auch wieder passieren. Aber soweit zurück oder gar nach vorn scheint niemand mehr zu denken. Fatal ist dabei der Unterschied zwischen heute und 2001: Heute orientiert sich alles am Finanzmarkt. Und der kennt nur Aktionäre - keine Grenzen und keine gesellschaftliche Gesamtverantwortung.
Union mit oder ohne Transfer: es wird richtig politisch und nicht nur finanzmarktpolitisch?
Björn: Ich bin bei der ganzen Sache völlig unentschieden. Ich sehe den Weg in eine Transferunion äußerst kritisch. Andererseits kann ich keine bessere Lösung erkennen - und Deutschland hat ein fundamentales Interesse an der Rettung des Euros (wie im Übrigen China auch). An eine gesellschaftspolitisch verantwortliche globale Finanzmarktpolitik glaube ich nicht. Insofern bleiben nur die Euro-Bonds. Allerdings halte ich es dann auch wie der Herr Soros im Spiegel Interview: In einem solchen Fall müssen die starken Volkswirtschaften den schwachen die Spielregeln diktieren. Dabei kann man nach Soros ja auch differenziert vorgehen, indem man Ländern wie Portugal, Italien oder Griechenland für einen ersten Zeitraum von 1-2 Jahren eine weitere Verschuldung erlaubt, um eine gravierende Rezession zu verhindern, und gleichzeitig Sparmaßnahmen für die Zeit danach festschreibt.
Sophokles: die Sache wird langsam wieder richtig politisch. und nicht nur finanzmarktpolitisch. Und das ist ja auch gut so, weil sie ja im Grunde die ganze zeit schon politisch war. Und langsam kommen sogar die Medien aus ihrer politischen Versenkung herausgekrochen. Hier ein interessanter Artikel aus der Frankfurter Rundschau: http://www.fr-online.de/politik/meinung/eurobonds-sind-nur-eine-chiffre/-/1472602/9543236/-/index.html.
Die Überintegration von Politik und Finanzsystem: im System arbeiten statt am System arbeiten?
Björn: "Denn die Bürger dieses Landes müssen sich fragen, welche Wirtschaftsordnung sie wollen. Wirklich eine, in der die Kapitalströme die Politik diktieren? Wer diese Frage mit Nein beantwortet, sollte Eurobonds und Anleihekäufen gegenüber aufgeschlossen sein, die Argumente zu verstehen versuchen und nicht auf den Trick derjenigen hereinfallen, die mit dem Zahlmeister Deutschland kommen. " ---> Hmmm, und die Euro-Bonds und Anleihekäufe sind demnach kein Diktat der Märkte? Optimistische Sichtweise ;-) An der Debatte des "Zahlmeisters" kommt man in meinen Augen nicht vorbei. Auch diese Frage muss debattiert werden. Alleine schon, weil es eine politische Legitimation braucht, die von der öffentlichen Meinung getragen werden muss. Ich würde die Problematik in Luhmanns Terminologie fassen: Politik und Finanzsystem sind überintegriert. Das Finanzsystem erdrückt das politische und macht es zunehmend handlungsunfähig. Ob man durch Eurobonds diese Handlungsfähigkeit wieder erlangt, wage ich zu bezweifeln. Man gewinnt zumindest Zeit bis zur nächsten Katastrophe. Letztendlich können aber nur verbindliche globale Spielregeln und sanktionierbare Normen der Politik wieder Handlungsfähigkeit verleihen. Und hier sehe ich keinen Konsens. Dabei fragt man sich doch, was noch passieren muss, damit an dieser Stelle ein Richtungswechsel vollzogen wird - und zwar weltweit. Sollte das Sein nicht eigentlich das Bewusstsein bestimmen? :-) Aktuell bestimmt das Bewusstsein wieder das Sein - zumindest in der öffentlichen Debatte.
Sophokles: genau genommen - so sagte ja Marx - ist es das gesellschaftliche sein, dass das Bewusstsein bestimmt. Beachtlich ist eben, dass genau das heute nicht mehr gesehen wird. stattdessen wurde das sein zu einem zählbaren etwas gemacht.
Wenn Politik einerseits nur mit zahlen um sich wirft und andererseits die "Zahlmeister-Funktion" aus populistischen Erwägungen als was a priori schlechtes betrachtet, dann kommt Gesellschaftlichkeit automatisch zu kurz. muss sie ja. Gesellschaft sind Kinder, die lärm machen, alte Leute, die auf der Parkbank sitzen, Fußballverein und lauter so ökonomisch nutzloses Zeugs.
Die Ursache für die Überintegration ist diese herrschende Denkweise. und die sagt eben, dass die scheinbare Rationalität des Finanzmarkts zwingend wäre. was sich ökonomisch nicht gleich rechnet und beleihbar ist, taugt nix. Das Problem besteht gewissermaßen darin, dass sie sie alle "im System" arbeiten, anstatt „am System“ zu arbeiten. und deshalb passiert so wenig. dabei wäre es doch relativ einfach, die dinge zu regulieren. das sagt ja drolligerweise sogar George Soros (danke für den link!) "Natürlich macht Spekulation die Lage immer schlimmer. Ich bin deswegen auch dafür, dass solche hochgefährlichen Finanzprodukte wie Credit Default Swaps verboten werden, denn sie fördern Wetten auf einen Absturz."
Dasselbe gilt für Leerverkäufe und all diese komplexen wetten, die Verbriefungen auf den Caymans etc.. warum zieren sie sich so sehr, das Instrumentarium der Banken auf das für die dienende Funktion nötige zu reduzieren? Weil sie eben wirklich immer noch denken, man könne das sein durch zahlen retten. Dabei gibt es doch, so sagte Adorno mal so schön, "kein richtiges leben im falschen". Das stimmt für mich immer noch
Björn: Wunderbar resümiert, Sophokles!
Es gibt einem einfach ein gutes Gefühl, dass man sich über Finanzwirtschaft, gesellschaftliche Notwendigkeiten tatsächlich noch in einer anderen Sprache und mit anderen Denksystemen als dem finanzmarkthörigen „Rationalität“ und Zahlenschiebereien unterhalten kann…
Kommentar schreiben